| Just ist Euer neues Album „DO THE BAMBI“ erschienen, was könnt und möchtet Ihr uns fernab vom vorhandenen ausführlichen Presseinfo über die Idee, die Entstehung und Eure damit verknüpfte musikalische Entwicklung verraten? Brezel: In den letzten drei Jahren drehte sich merkwürdiger Weise alles um Kino: Wir haben einen Film (Cinemania, ein Dokumentarfilm über Kinosüchtige) vertont, wir haben mehrere Kino-Abende veranstaltet, an denen wir vorhandene Filme neu vertont haben (Weekend von Godard, Playtime von Tati, Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo....). Irgendwann haben wir die Quersumme aus allem gezogen. Sogar die zwei Coverversionen „Chelsea Girls“ von Nico und die Clockwork Orange Musik haben mit Kino zu tun. Insofern passte auch das Bambi.
Die Namensgebung „DO THE BAMBI“ sowie der visuelle Aufmachung schrei-en nach Walt Disney, gab es bereits Ärger wegen etwaiger Rechtsverletzun-gen? Und wie kam es überhaupt zu diesem Titel, nebst sympathischen Art-work, das Ihr ja auch im Design Eurer Homepage aufgreift und von den Besuchern in der „Bambi Gallery“ entwickeln lasst? Brezel: Nicht einmal die Sex Pistols haben wegen konkret physischer Bambi-Verletzung („Who killed Bambi?“) Ärger bekommen, ich hoffe Walt Disney wird uns in Ruhe lassen. Der Titel entstand während einer Tournee durch die USA, wir hatten einen Tourbegleiter mit riesigen braunen Augen und etwa 15 cm langen Wimpern. Einen großen Teil der anfallenden Probleme wurde von ihm mit einem betörenden Augenaufschlag gelöst. Um uns zu amüsieren haben wir ihn immer wieder aufgefordert: Mach das Bambi. So kam eins zum anderen, beziehungs-weise: das Bambi hat auf uns gewartet, das ultimatives Kitschsymbol als Kontrast zu dem düsteren Photo auf der Platte.
Bei Hören der einzelnen Titel fällt auf, dass textlich mehrfach Filmbezüge bestehen. Würdet Ihr sagen, daß der Bereich des Kinos und des Film als konzeptualistische Grundlage Eures aktuellen Albums gesehen werden kann? Vor allem die Übernahme des Themas von „A Clockwork Orange“ entspricht aktu-eller Kubrik-Euphorie und ist zugleich auch der Verweis auf einen der tabuisiertesten Drogen- und Subkulturfilme generell. Zusammen mit den Sprach-passagn von Christane F. sind also zwei in ihrer Entstehungszeit heftig diskutierte Filme auf Do the Bambi enthalten. Warum habt Ihr Euch gerade für die-se beide entschieden? Brezel: Diese beiden Filme sind nicht unbedingt unsere Lieblingsfilme: an Christiane F. gefällt uns die überästhetische Darstellung des 70ger Jahre Mauer-Berlins, Drogenromantizismen und verstörende Bilder von Junkies finde ich uniteressant. An Clockwork Orange mochte ich als erstes die Musik von Wendy Carlos: sie ist die perfekte Zeitmaschine: Barock-Musik von Purcell auf einem Synthesizer intoniert, dessen futuristische Töne heute extrem steinzeitlich klingen, High- und Low-getect zur selben Zeit. Dann kam die Idee von Francoise, eine feministische Antwort auf den Film zu geben, in dem Frauen nur als Opfer auftauchen: in unserer Version sitzt sie in der Korova Milk Bar, schüttet sich die unglaublichen Cocktails rein und ist auf sinnlose Gewalt aus. Mein Lieblingsfilm von Kubrik ist Barry Lyndon.
Wie auf Musique Automatique habt Ihr Euch auch bei diesem Album für die Einbindung von Coverversionen entschieden. Auffallend ist dabei, daß Ihr stets primär Stücke der 1980´er bzw. der frühen Avantgarde wie bspw. Tödliche Doris „Tanzen im Quadrat“ neu interpretiert. Woher kommt diese Affinität zu NICO oder den o. g. Tödliche Doris? Brezel: Das ist die Zeit, in der ich Musik entdeckt habe: Was ist das, was sind das für verrückte Klänge, was für eigenartige Konzepte (z.B. Tödliche Doris und deren genialer Dilettantismus). Nico ist noch eine ganz andere Geschichte, bei vielen Sachen, die mir gefallen, kommt früher oder später auch Nico zum Vorschein.
Insgesamt scheint es, daß DO THE BAMBI insgesamt ruhiger und gleichbleibender wirkt, im vergleich zu den stärkeren Tempowechsel auf den vorherigen Alben. Bei Troglidyten kam sogar ein Halleffekt bei Françoise Vocals zu Einsatz, der unseres Erachtens leichte Vergleiche zu 2raumwohnung oder Klee eröffnet. Andererseits besticht das Album aber gerade auch durch sein hohes Maß an Analogklängen und kraftvollen Stücken wie bspw. “Ich bin nackt” und “Ne m´apelle pas ta biche”, die als Weiterführung von “Schön von Hinten” oder “Je suis une poupée” gesehen werden können. Würdet Ihr diese Einschätzung teilen? Brezel: Ich glaube, Du hast recht. Ich kann es nicht beurteilen, ich habe genau dasselbe wie auf der letzten Platte gemacht, warum sie nicht genauso wie die letzte klingt, kann ich mir nicht erklären. Grundsätzlich spiele ich immer sehr viele Instrumente live ein, da ich schneller und intuitiver an einem echten Gerät bin als bei der Programmierung. Computer sind nicht meine starke Seite.
Zwischendurch eine vielleicht etwas unverschämt dümmliche Frage: Aber ei-nes Eurer besonderen Charakteristika liegt im stärkstens ausgeprägt vorge-tragenem französischen Akzent von Françoise. Fast beschleicht einen sogar beim Hören der französischsprachigen Titel der Eindruck, daß selbst hier überzogen akzentuierend betont wird. Was hat es mit diesem sprachlichen Stilmittel auf sich? Außer, daß es einen unvergleichlichen, ein Lächeln in die Mundwinkel zaubernden Charme versprüht? Brezel: Ich glaube, das ist eine Frage der Identität: so spricht Francoise nun einmal, mit genau so viel Akzent. Weniger oder mehr wäre Kabarett, das was man hört ist authentisch. Allerdings habe ich auch oft das Gefühl, dass der Akzent die gefährlichste Waffe in unserer Kaserne ist. Francoise sagt immer, wenn sie auf ihren Akzent angesprochen wird oder wenn jemand mutmaßt, sie würde ihn taktisch einsetzen, dass ihr kein Deutscher bekannt sei, der akzentfrei Französisch spreche.
Françoise ist neben Stereo Total ja auch als erfolgreiche Autorin der Lolitaliteratur tätig. Bei der Neurosen zum Valentinstag - Lesetour fiel auf, daß neben der reinen Buchpräsentation auch musikalische Stücke mit Brezel (also ja Ste-reo Total) Teil des Konzeptes waren. Inwieweit würdet Ihr sagen, ist Stereo Total als autonom von Euren künstlerischen Nebentätigkeiten zu betrachten? Brezel: Bei Francoise habe ich das Gefühl, dass sie sehr homogen ist, in allem, was sie anfasst: egal ob sie Musik macht, Bücher schreibt oder malt, ich habe immer das Gefühl, es ist Ausdruck ein und derselben Person. Bei meinen eigenen musikalischen Neben-Tätigkeiten habe ich oft das Gefühl, das meine Musik für Außenstehende widersprüchlich wirkt. Für die Lesungen von Francoise eine Art Tonkulisse zu basteln ist eine sehr dankbare Aufgabe, weil es mir großen Spaß macht, dem Francoise-Cactus-Charakter eine Melodie zu verleihen.
Beim Blick auf die aktuellen DO THE BAMBI Tourdaten fällt unmittelbar auf, daß Ihr neben den deutschsprachigen Räumen auch – wie gehabt - franko-phone und anglophone Gebiete aufsucht. Da Ihr bei der Veröffentlichung des aktuellen Albums ja auch die unterschiedlichen Eigenarten der Veröffentli-chungsländer berücksichtigt habt, interessiert uns hier primär auch, ob ihr den entsprechenden Abenden auch jeweils sprachlich angepasste Sets zugrunde-legt? Brezel: Ich bin froh, dass bei Stereo Total neben den stilistischen Grenzen auch die linguistischen Grenzen gefallen sind. Allerdings macht es Spaß, die Akzent-Geschichte noch eine Drehung weiter zu fahren, Ansagen in der jeweiligen Lan-dessprache zu machen und einige Lieder zu übersetzen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass alles auf einem großen interkulturellen Missverständnis beruht, bezüglich unserer ursprünglichen Intentionen. Allerdings ist das natürlich ein sehr produktives Missverständnis. Aber wenn man so sehr missverstanden wird, ist es am besten, man treibt es noch ein bisschen extremer.
Als Support für Eure ausgedehnte Tour konnten ja zum einen Rhythm King and her friends und zum anderen Electronicat verpflichtet werden. Gerade letzterer bezeugt durch seine musikalischen Anleihen (bspw. CABARET VOLTAIRE ) eine Euch ähnliche Begeisterung für die frühe Industrial-/Minimalszene. Wie kam es zu der „gemeinsamen“ Tour bzw. der Verpflich-tung als Support? Und warum ist die Tour quasi zweigeteilt? Brezel: Wir finden beide Bands/Künstler super, es hätte allerdings noch viele andere Künstler und Künstlerinnen gegeben, die wir gerne eingeladen hätten. Ich fühle mich sowohl Rythm King als auch Electronicat verwandt, obwohl ich einsehe, dass sie auf ganz anderen Planeten wohnen. Electronicat habe ich vor fünf Jahren zum ersten Mal gesehen, damals hatte er nur einen Drumcomputer, der diesen extremen, verzerrten Boogie-Bass gespielt hat. Im Laufe der Jahre haben sich bei ihm auf dieser Grundlage immer mehr Instrumente dazu addiert, Gitarre, Stimme, Echogerät: Vor allen Dingen sind seine Shows sehr gut. Rythm King and her friends habe ich zum ersten Mal vor Le Tigre gesehen, und dachte überhaupt nicht, sondern war so mitgerissen, dass ich später nicht einmal mehr die Musik beschreiben konnte.
Zum Abschluss seid doch so nett und verratet uns Eure „All time top ten fa-vourites“, egal ob Lied, Buch, Band, Speise, Film oder Jahreszahl. Francoise und Brezel gemischt: Der Mieter –Polanski Weekend –Jean Luc Godard Welcome Plastics – the Plastics Melody Nelson –Serge Gainsbourg Das Maskenspiel der Genien – Fritz von Herzmanovsky-Orlando Madame Bovary- Flaubert Singing in the rain – Petty Booka Saturn drive – Alan Vega Desert Shore - Nico
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